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Als im Jahre 1908 der Auslandschweizer Dr. J. E. Brandenberger ein Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung transparenter Folien aus Cellulose patentieren liess, hatte kaum jemand - ausser vielleicht der geniale Erfinder selbst - die Bedeutung und Tragweite dieser Erfindung erkannt. Dr. Brandenberger nannte das neue Produkt "Cellophane", abgeleitet von "cello", was auf das Basismaterial Cellulose hinweisen soll, und vom griechischen Wort "diaphanis", was durchsichtig bedeutet. "Cellophane" wird aus Viskose, einem wasserlöslichen Derivat der Cellulose, hergestellt. Die englischen Chemiker Cross, Bevan und Beadly hatten im Jahre 1882 entdeckt, dass sich Cellulose, mit Natronlauge und Schwefelkohlenstoff behandelt, in lösliches Natrium - Cellulose - Xanthogenat umwandelt. Aus dieser zähflüssigen Reaktionsmasse lässt sich nach einem chemischen Reifeprozess und Eintragen in ein schwefelsaures Koagulationsbad die Cellulose regenerieren. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, konzipierte Dr. Brandenberger sein Verfahren zur Herstellung von "Cellophane"-Folien. Es zeugt von Dr. Brandenbergers genialem Erfindergeist, dass das Grundprinzip seiner ersten, vor 80 Jahren entwickelten Maschine, auch heute noch in vielen modern eingerichteten Fabriken für Cellulose-Folien weltweit praktisch unverändert angewandt wird.

In den ersten Jahren nach der Patentierung mussten unzählige Rückschläge, Vorurteile und weitere Schwierigkeiten überwunden werden. Mit einer konsequenten und sehr willensstarken Zielstrebigkeit und einer Zähigkeit sondergleichen gelang es Dr. Brandenberger, schliesslich alle technischen und finanziellen Probleme zu lösen. Gerade in diesen kritischen Jahren zeigte es sich, dass "Mister Cellophane", wie Dr. Brandenberger bald genannt wurde, nicht nur ein talentierter Erfinder, sondern auch ein vorausschauender Kaufmann und Organisator war. Als es ihm im Jahre 1912 gelang, die Anwendungsbreite des neuen Materials "Cellophane" über die bekannte Pariser Zeitschrift "Illustration" einer grossen Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, war die Voraussetzung für die Lebensfähigkeit einer Viskose-Folien-Industrie geschaffen. Von diesem Moment an setzte sich "Cellophane" als Verpackungsmaterial durch und eroberte langsam aber stetig den grösseren Teil des Weltmarktes.

Im Jahre 1913 gründete Dr. Brandenberger die Firma "S.A. La Cellophane" mit Sitz in Paris und der ersten grösseren Fabrikanlage in Bezons, einem Ort ausserhalb von Paris. Während des ganzen Ersten Weltkrieges von 1914/18 beschränkte sich dann die "Cellophane"-Produktion im Werk Bezons auf die Herstellung der Augenschutzfolien für Gasmasken und ersetzte das für diesen Zweck bisher verwendete Celluloid.

Nach dem Krieg, Ende 1918, begann die "Cellophane"-Produktion rasch anzusteigen. Vor allem die Ausfuhr nach den USA entwickelte sich in steigendem Masse. In Übersee entstand mit der Zeit eine eigentliche "Cellophane"-Euphorie. Dort gab es bald kaum mehr einen Gegenstand, der nicht in "Cellophane"-Verpackungen zum Verkauf angeboten wurde. Dies veranlasste den amerikanischen Chemiekonzern Du Pont de Nemours, von Dr. Brandenberger die Lizenz zur Herstellung von "Cellophane" zu erwerben. Das war sozusagen der Startschuss zu einem beeindruckenden Siegeszug der Viskose-Folie durch die ganze Welt. Heute produzieren 40 Firmen jährlich 50'000 Tonnen "Cellophane", 1970 waren es sogar 50 Firmen mit einer jährlichen Gesamtproduktion von ca. 680'000 Tonnen. Dieser gewichtsbezogene Produktionsrückgang ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass seit 1970 Viskose-Folien in bestimmten Anwendungsbereichen durch Polypropylen-Folien ersetzt worden sind. Der Rückgang ist auch eine direkte Folge des Fortschritts in der Prozesstechnologie, womit immer dünnere und leichtere Folien hergestellt werden können.
 

cellophane werk in bezons, franceDas erste "Cellophane"-Werk in Bezons, France, um das Jahr 1920

 
"Cellophane" ist für Millionen von Menschen zu einem Begriff geworden. In unbehandeltem Zustand ist die "Cellophane"-Folie glasklar, glänzend, sehr wasserdampfdurchlässig, beständig gegen Fett und Öl, klebbar, geruchs- und geschmacksneutral. Durch verschiedene Beschichtungen oder nachträglich chemische Behandlung können die Folien zusätzlich auch siegelbar, wasserdampfdicht, wetterfest und sterilisierbar gemacht werden. Infolge seiner hervorragenden Eigenschaften verfügt "Cellophane" über eine grosse Anwedungsbreite. Auf rein technischem Gebiet ist die Verwendung von Viskose-Folien nicht allzu gross. Man braucht beispielsweise grössere Mengen als Zwischenlagen für auf Rollen gewickelte Kautschukbahnen oder andere klebrige Materialien und als Trägerfolien für selbstklebende Klebstreifen. Ferner wird "Cellophane" auch in der Mode-, Hut- und Textilindustrie als Effektmaterial eingesetzt. oder zum Umwickeln von Fäden verschiedenster Art zur Erzielung eines besonderen Glanzes verwendet. Das glasklare und glänzende Aussehen des Folienmaterials schmeichelt den Augen und wirkt auf Kunden besonders kaufanregend. In der Hauptsache finden die "Cellophane"-Folien jedoch überall dort Anwendung, wo etwas gegen Staub und Berühren geschützt werden soll. Ungefähr 80% der "Cellophane"-Folien werden heute als Nahrungsmittelverpackung eingesetzt. Es ist vor allem dieser Anwendungsbereich, welcher uns nochmals die hervorragende Bedeutung der Erfindung von Dr. J. E. Brandenberger für unser Jahrhundert eindrücklich vor Augen führt. Die hygienische Umhüllung von Lebensmitteln mit transparenten "Cellophane"-Folien schuf unter anderem die Voraussetzungen für die stürmische Entwicklung der Selbstbedienungsläden im Lebensmittel-Bereich und für die zunehmende Akzeptanz von Selbstbedienungsrestaurants. Die "Cellophane"-Verpackungen verhindern zweifellos die Verbreitung von Krankheiten, welche durch unnötiges und unsachgemässes Berühren von Lebens- und Genussmitteln verursacht werden können.

Dr. J. E. Brandenberger hatte das seltene Glück, dass seine Erfindung und Tätigkeit schon zu seinen Lebzeiten grosse Anerkennung fand. Seine hohen wissenschaftlichen Leistungen wurden durch zahlreiche Auszeichnungen gebührend gewürdigt. So wurde er beispielsweise bereits im Jahre 1937 durch das Benjamin-Franklin-Institut in Philadelphia (USA) mit der "Golden Elliot Cresson Medal" geehrt. Die hohe Wertschätzung, die man durch diese hervorragende Auszeichnung dem genialen Erfinder Dr. J. E. Brandenberger zukommen liess, wird eindrücklich durch die Namen der vorgängigen Medaillenträger unterstrichen: Henry Ford, Edison, Wilbur-Wright, Diesel, Einstein und Madame Curie.

Die Zukunftsperspektiven für "Cellophane" sind weiterhin ausgezeichnet. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenzprodukten, wie beispielsweise der Polypropylen-Folie, ist "Cellophane" biologisch abbaubar und verursacht keine schwerwiegenden Probleme bei der Abfallbeseitigung. Zudem kann es, in einer Mannigfaltigkeit wie kein anderes Folienmaterial, durch physikalische und chemische Nachbehandlung modifiziert werden, so dass bereits heute "Cellophane"-Folien mit einem fast beliebigen Spektrum von massgeschneiderten Eigenschaften zugänglich sind. Daher werden dem "Cellophane" auch in Zukunft neue anspruchsvolle Anwendungsbereiche, zum Beispiel in Medizin und Biotechnologie, offenstehen.

Prof. Dr. Paul Rys