Dr. J.E. Brandenberger

Dr. phil. und chem.
der Erfinder der transparenten Viskose-Folie "Cellophane"
Geboren am 19. Oktober 1872 in Zürich
Gestorben am 13. Juli 1954 in Zürich


drbrand
Dr. Jacques Edwin Brandenberger

Eine Betrachtung über die geniale
Erfinder-Persönlichkeit des Auslandschweizers
Dr. J.E. Brandenberger


"Charakter im grossen und kleinen ist, dass der Mensch demjenigen eine stete Folge gibt, dessen er sich fähig fühlt. Nur in dem, was der Mensch tut, zu tun fortfährt, worauf er beharrt, zeigt er den Charakter."

Goethe


Im Laufe der Jahrhunderte haben viele Schweizer bedeutende Leistungen für die Gestaltung einer guten und lebensfähigen Völkergemeinschaft, für die Gesundung der Rechtspflege, für Kunst, Literatur und Wissenschaft vollbracht. Auch Schweizer Erfindergeist und Unternehmungslust haben von jeher die industrielle Entwicklung in unserem Lande und über unsere Grenzen hinaus weitgehend befruchtet.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat vor allem der Auslandschweizer Dr. J.E. Brandenberger, Paris, als genialer Forscher, Erfinder und als Gründer der Viskosefolie-Grossindustrie eine unbestrittene Weltbedeutung erlangt.

Dieser hervorragende Erfinder und Wirtschaftsführer zeichnete sich durch eine feine Bildung des Geistes und des Herzens aus. Er entwickelte schon in seinen jungen Jahren einen recht mutigen und unbändigen Tatendrang. Sein unermüdlicher Arbeitseifer war mit einer ausserordentlichen Willensstärke gepaart. Kaum mündig geworden, d.h. mit 22 Jahren, bestand er an der philosophischen Fakultät der Universität Bern das Doktorexamen für Chemie und erhielt die Auszeichnung - summa cum laude -. Er war damals der jüngste promovierte Doktor der Schweiz. Zu seinem Glauben an eine erfolgreiche Zukunft, seinem Optimismus uns seinem absoluten Vertrauen in die eigene Kraft gesellten sich ein klarer Blick für vorhandene wirtschaftliche Möglichkeiten und eine kühne Entschlusskraft bei seinen Entscheidungen. Er war nicht nur ein grosszügiger, allem Kleinlichen abholder Unternehmer, sondern auch ein eigentlicher Vater und Berater seiner Angestellten und Arbeiter. Er nahm sich immer Zeit und Mühe, die Anliegen seiner Untergebenen selbst zu prüfen. Für das Wohlergehen seiner Betriebsangehörigen hatte er ein grosses Verantwortungsgefühl. Durch seinen offenen und geraden Charakter, seine Zuverlässigkeit, der nichts entging und die nichts vergass, durch sein weitherziges und grosszügiges Denken und Handeln, vor allem aber durch sein freundliches und vornehmes Wesen wirkte Herr Dr. Brandenberger als imponierendes und voranleuchtendes Beispiel. Sein weit ausstrahlender Charme verscheuchte alles Duckmäusertum.

Seinen Mitarbeitern hat er immer grosses Vertrauen entgegengebracht und ihnen früh schon viel eigene Verantwortung zugewiesen und überlassen. Er hat deshalb immer auf die geradlinige, loyale und treue Mitarbeit aller seiner Werkangehörigen sehr viel Wert gelegt. Er war sich auch bewusst, dass sein Unternehmen, wo noch so viele ungelöste technische und wirtschaftliche Probleme einer weitvorausschauenden Planung, Behandlung und Begutachtung harrten, auf die treue Mithilfe aller Mitarbeiter angewiesen war. So war für Dr. Brandenberger das gute Zusammenspiel aller Kräfte, die Achtung vor jeder Arbeit, vor allem aber die Achtung des Menschen überhaupt, der oberste Grundsatz. Für ihn war das einmal geschenkte Vertrauen eine männliche Ehrensache. Als ausgezeichneter Menschenkenner hatte Dr. Brandenberger eine grosse Begabung in der richtigen psychologischen Behandlung und Bewertung seiner Untergebenen. Sein Spürsinn sondergleichen erkannte die teilweise noch schlummernden und unentwickelten Kräfte seiner Mitarbeiter. Die schlichte und doch lebhafte Art, wie er seinen Werkangehörigen aus seinem grossen Ideenreichtum mitzuteilen wusste, begeisterte sie zu freudiger und unermüdlicher Mitarbeit. Die bezaubernde, liebenswürdige Art, hinter der sich aber eine konsequente und sehr willensstarke Zielstrebigkeit nur etwas unauffällig in Deckung hielt, entfachte seine Mitarbeiter so vielfach selbst zu schöpferischen Leistungen. Durch sein selbst gegebenes praktisches Beispiel wurde man von seinen Ideen einfach mitgerissen. Bei interessanten Versuchen, wo er immer selbst dabei war, vergass man, an die Uhr zu schauen, und kümmerte sich kaum mehr um die Essenszeiten.

Seine Mitarbeiter stellte er öfters vor recht heikle Situationen, um festzustellen, ob sie genügend Eifer, Geduld, beharrliche Ausdauer und eventuell erfinderische Talente besässen, um die von ihm gestellten Aufgaben zu lösen. Das nachfolgend angeführte Erlebnis, das der Verfasser mit Herrn Dr. Brandenberger hatte, bezeugt dies und zugleich die grosse Güte dieses begabten Erfinders und sein unausgesprochenes tiefes Mitfühlen für die Entwicklung und das Vorwärtskommen junger Menschen, überhaupt die feine Wesensart von Dr. Brandenberger.

So hat der Schreibende als frisch diplomierter Maschinentechniker vor Beginn seiner definitiven Anstellung in dem Unternehmen "La Cellophane" in Bezons (Seine et Oise) France im Januar und Februar 1921 eine 6 Wochen dauernde praktische Probezeit im Sinne einer eigentlichen Fähigkeits- und Geduldsprüfung durchmachen müssen. Dieser Probe war eine wichtige Problemstellung zu Grunde gelegt: Die Wirtschaftlichkeit dieses neuen Materials, der Viskose-Folie, sollte für einen besonders praktischen Fall ausprobiert werden. Die bisher nur manuell mögliche Fabrikation von Säcken aus "Cellophane" beanspruchte damals schon eine recht grosse Arbeiterzahl. Es war nun aber allgemein bekannt, dass man Papiersäcke in bestimmten Formen und Grössen vollständig maschinell herstellen konnte. Herr Dr. Brandenberger beschaffte sich eine gebrauchte Papiersackmaschine zum Zwecke des Versuchs, mittels dieser auch "Cellophane"-Säcke herzustellen. Trotzdem die Material-Eigenschaften des Papiers mit denjenigen der Viskose-Folie keineswegs übereinstimmen, glaubte er, man könne durch eine aus den Versuchserfahrungen gewonnene Maschinen-Neukonstruktion doch mit der Zeit die Herstellung der "Cellophane"-Säcke erheblich verbilligen.

In einem separaten Versuchsraum, versehen mit der Aufschrift "Zutritt für Unbefugte strengstens untersagt", war diese Papiersackmaschine montiert, und der junge, erst 21 1/4jährige Schweizer wurde mit der heiklen Aufgabe der maschinellen Herstellung von "Cellophane"-Säcken betraut. Dem Versuchsbeauftragten wurde zu den mechanischen Werkstätten und der Schreinerei ungehinderter Zutritt gewährt, und er hatte volle Aktionsfreiheit, alle Umbauten vornehmen zu lassen, die ihm zur Verbesserung der mechanisch stark ausgeleierten Papiersackmaschine notwendig erschienen, z.B. Einbau von neuen Hilfsapparaten.

Sechs Wochen lang wechselten in diesem Versuchslokal Teilerfolge mit noch mehr Misserfolgen ab. Zuletzt musste der Versuchsleiter die Schlussfolgerung ziehen, dass weitere Versuche mit dieser alten Occasionsmaschine doch zu keinem positiven Resultat führen können. Etwas niedergeschlagen, ängstlich und zaghaft eröffnete der junge Schweizertechniker Herrn Dr. Brandenberger den Schlussrapport über die "Cellophane"-Sackfabrikation. Bedeutete dieses Eingeständnis des praktischen Misserfolges die definitive Verabschiedung des Versuchsleiters aus dem Betriebe der "La Cellophane"? Jedenfalls war der junge Schweizer auf das Schlimmste gefasst. Er glaubte bestimmt, von Herrn Dr. Brandenberger eine Absage für ein definitives Anstellungsverhältnis in der "La Cellophane" entgegennehmen zu müssen. Wie freudig überrascht war aber der junge Mann, als ihm Herr Dr. Brandenberger freundlich lächelnd auf die Achsel klopfte und ihm folgendes erklärte: "Da Sie so geduldig 6 Wochen lang in diesem Versuchsraum ausgeharrt haben und nun zu dem mutigen Entschluss gelangt sind, mir zu erklären, dass weitere Versuche auf dieser Papiersackmaschine zur Herstellung wirklich brauchbarer "Cellophane"-Säcke nutzlos seien, engagiere ich Sie nun definitiv als Mitarbeiter des technischen Betriebsleiters der "Cellophane"-Betriebe. Sie sind nicht der erste, der sich mit diesen Versuchen zu befassen hatte. Sie haben aber während der vergangenen 6 Wochen wirklich viel guten Willen entwickelt und auch eine recht zähe Gedulds- und Nerverprobe bestanden. Ihre Arbeit hat mir Freude gemacht, trotzdem, wie vorauszusehen war, die Versuche zu keinem positiven Erfolg geführt haben."

Herr Dr. Brandenberger war ein Unternehmer von seltener Grösse. Er hat noch zu Lebzeiten die Früchte seiner grossen Arbeit und seiner bedeutenden Erfindung ernten dürfen. Bis an sein Lebensende war er die eigentliche Seele der "Cellophane"-Betriebe. Er hat diesem Unternehmen den Stempel seiner starken und überragenden Persönlichkeit aufgedrückt. Seine Erfolge waren nicht zufällig, sondern sie basierten auf seiner genialen Begabung, seiner unermüdlichen Arbeitskraft, seinem bis in das hohe Alter immer jugendfrisch gebliebenen Unternehmergeist, seinem grossen Wagemut und seinem tief verwurzelten Verantwortungsgefühl. Als ein mit vielen schöpferischen Begabungen reich begnadeter Schweizer hat sich Dr. Brandenberger zu einem hoch geachteten Welt-Wirtschaftsführer emporgearbeitet. Er hat der Nachwelt ein hervorragendes Lebenswerk hinterlassen. Seinem Geburtsland hat er als weltberühmt gewordener Auslandschweizer viel Ehre gebracht.

Fahrwangen, 1955

Aus einer Gedenkschrift zu Ehren von Herrn Dr. J.E. Brandenberger,
zusammengestellt von G. Rodel, Fahrwangen, im Sommer 1955

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